2016

Laudatio zur Verleihung des Reiserechts-Förderpreises 2016 der DGfR 

 Von Edgar Isermann (Präsident des OLG a.D. und Leiter der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, söp)

 Preisträger: Dr. Markus Krüger für seine Promotionsarbeit

„Die Passagierrechte im Flug-, Bahn, Schiffs- und Busverkehr / Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vier EG-Verordnungen und Vereinbarkeit der bei diesen enthaltenen Entschädigungszahlung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 20 GRC“  (Diss. Bielefeld 2016)

Die DGfR verleiht heute zum 9. Mal den von ihr ausgelobten Reiserechts-Förderpreis für Promotionsarbeiten zur Entwicklung des deutschen und europäischen Reiserechts. Die erste Preisverleihung dieser Art erfolgte im Jahr 1996, die letzte im Jahr 2012. Zwischenzeitlich verliehene weitere Preise galten dem Erfolg bei Masterarbeiten. Heute können wir wieder eine juristische Dissertation mit dem Förderpreis auszeichnen. 

Die Themen der jeweils prämierten Promotionsarbeiten spiegeln die fachlichen Schwerpunkte wieder, die in der DGfR seit ihrem Bestehen im Lauf der Jahre diskutiert und behandelt wurden. Lange Zeit stand das Pauschalreiserecht im Vordergrund. Hiermit befassten sich auch die ersten, mit einem Förderpreis ausgezeichneten Arbeiten. Dieses Rechtsgebiet galt dann eine Zeit lang als „ausdiskutiert“ und gewinnt erst neuerdings mit der Umsetzung der neuen EU-Richtlinie in nationales Recht wieder an Bedeutung. Die seit 2006 prämierten Arbeiten befassten sich folgerichtig mit Problemen aus anderen Formen des Reisens, nämlich dem Komplex der Beförderungsverträge, sei es die Beförderung per Bahn oder, wie in den letzten drei Arbeiten, die Beförderung per Flug. 

Hintergrund der Themenverlagerung ist die Stärkung von Verbraucherschutzrechten der Reisenden. Sie fand Niederschlag in den EU-Verordnungen zum Bahn, Bus, Flug- und Schiffsverkehr, die in der Zeit zwischen 2004 und 2011 in Kraft getreten sind.

Sowohl die rechtstechnische Ausgestaltung der Rechte von Reisenden in den Verordnungen wie auch die Ausformung der Verordnungen durch die Rechtsprechung zeigen indes deutliche Unterschiede. Deshalb wurde es Zeit, die einzelnen Passagierrechte nicht mehr nur im Kreislauf ihrer jeweils eigenen Systematik zu beleuchten. Damit sind wir bei der Thematik der heute zu prämierenden Arbeit von Markus Krüger. Sie setzt den Schritt in die dritte Phase der reiserechtlichen Diskussion und gibt einen neuen Schwerpunkt – nämlich die Gesamtschau auf die Passagierrechte insgesamt. Eine erste Einführung für diese Diskussionsrunde gab bereits die im letzten Jahr prämierte Masterarbeit von Tobias Eberharter. 

Dem heute ausgezeichneten Autor gilt das Verdienst, dass er in seiner mehr als 400seitigen Arbeit über den Tellerrand der Einzelregelungen hinaus die Passagierrechte bei allen vier Verkehrsträgern einer sehr gründlichen Rechtsvergleichung unterzogen und Gemeinsamkeiten wie Besonderheiten der jeweiligen Schutzrechte gegenübergestellt hat. Das macht seine Arbeit prämierungswürdig. 

Seine Prüfung ist dabei fokussiert auf die Vereinbarkeit der Verordnungen mit Art. 20 der Grundrechtecharta der Europäischen Union, der schlicht und einfach lautet: „Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich“. Wie aber steht es um dieses Gleichheitsgebot bei den vier Verordnungen zu den Passagierrechten? Auf den ersten Blick könnte man eine ähnliche Rechtslage vermuten, weil es sich beim Reisen doch meist um gleiche Lebenssachverhalte handelt, also etwa Verspätungen, Annullierungen oder der Nichtbeförderung. 

Dass eine solche Annahme voreilig, wenn nicht sogar ein Trugschluss wäre, macht diese Arbeit dem Leser schnell deutlich.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es danach bereits auf der Tatbestandsebene der einzelnen Vorschriften. 

Regelungstechnisch sieht der Verfasser bei Flug, Bahn und Schiff Gemeinsamkeiten, weil in tatbestandlicher Hinsicht an ein mit der Beförderung selbst zusammenhängendes Ereignis angeknüpft wird, während bei den Passagierrechten Bus die Zahlungspflicht erst greift, wenn bei Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung keine Lösungs- bzw. Hilfsmöglichkeiten angeboten werden, also ein nicht beförderungsimmanentes Vorkommnis zur Geltung kommt. 

Unterschiede gibt es ferner bei dem eine Rechtsfolge auslösenden Zeitmoment einer Verspätung bei der Bahn bzw. dem Flug und dem Schiff oder aber auch zum Beispiel bei der Bedeutung des Abfahrtsortes für Hilfeleistungen beim Bus- bzw. Schiffsverkehr. Manches mag insofern eher einen theoretischen Reiz ausmachen. Das gilt z.B. im Busverkehr bei der in der Verordnung vorgegebenen Unterscheidung zwischen „Busbahnhof“ und „Bushaltestelle“. In der Rechtsanwendungspraxis zeigt sich demgegenüber das eigentliche Problem eher darin, dass der Reisende, insbesondere bei Start der Reise im Ausland, mangels ausreichender Kennzeichnung des genannten Abfahrtsorts diesen erst gar nicht findet und der Bus dann ohne ihn abfährt. 

Hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Passagierrechte wird klargestellt, dass die größten Gemeinsamkeiten bei der Aktivlegitimation des jeweiligen Passagiers des betroffenen Verkehrsträgers gegeben sind. Unterschiede werden hingegen deutlich bei der Frage nach dem Adressaten von Rechtsansprüchen. Ist der „anbietende Beförderer“ anspruchsverpflichtet oder der „ausführende Beförderer“? Aus allem leitet er bereits auf dieser Ebene der Prüfung einen unterschiedlich ausgeprägten Schutzumfang für Passagiere ab. Am stärksten ausgeprägt sieht der Autor die Rechtslage zutreffend im Flugverkehr. Soweit er neben den Passagierrechten Bahn und Flug dabei auch die Passagierrechte Bus und Schiff gleichermaßen ausführlich behandelt, so ist das unter dem Gesichtspunkt einer theoretischen Abhandlung sicher angemessen. In der Praxis der Rechtsanwendung sind die Passagierrechte Bus und Schiff zahlenmäßig derzeit allerdings eher als marginal einzustufen. 

Den besonders relevanten Schwerpunkt setzt der Autor auf der Rechtsfolgenseite bei der Frage nach der Entschädigung für Reisestörungen. Dies macht er zur Kernaussage seiner Überlegungen. Und das mit Recht. Dabei verweist er darauf, dass die Passagierrechte teils Legislativakte, teils aber eben auch Ergebnisse der Judikative sind. 

Als Fazit seiner Untersuchung sieht er in der Divergenz der in den Rechtsakten vorgesehenen Entschädigungsleistungen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Von der Rechtssystematik her werden in der Tat z. B. Flugverspätungen „sanktioniert“, weil der EuGH insofern an den punitiven Charakter der Ausgleichszahlungen als Rechtsfolge einer Annullierung anknüpft. Bahnverspätungen hingegen werden „entschädigt“, weil nach der einschlägigen Verordnung die damit gegebene Schlechtleistung durch eine Minderung des Reisepreises ausgeglichen wird.

Das möchte ich im Einzelnen nicht weiter referieren, weil diese Unterschiede uns allen aus unserer Praxis bekannt sind. Die eigentlich spannende Frage lautet deshalb: Kann man die festgestellte Ungleichheit rechtskonform beheben? Und vor allem: Wie kann man das ändern?

In den Überlegungen zur Beantwortung dieser für den Reisenden als Anspruchssteller ebenso wie für die Beförderungsunternehmen als Anspruchsgegner wichtigen Frage liegt der mit dieser Arbeit verbundene Gewinn. 

Den ersten Ansatz sieht der Autor bei den Busfahrten, weil er insoweit die Passagierrechte als am wenigsten ausgeprägt einstuft. Seine erste Forderung zielt - ohne dabei die eigentypischen Besonderheiten bei Problemen auf den von Bussen genutzten Fahrstrecken wie etwa Staus pp. zu verkennen - deshalb darauf ab, auch bei Busfahrten an beförderungsimmanente Vorkommnisse anzuknüpfen, also nicht an Umstände, die vor oder nach der Fahrt liegen. Umgekehrt begrüßt er die im Busverkehr bereits gegebenen Informationspflichten bei Reisestörungen und fordert, diese auch auf die anderen Verkehrsträger zu erstrecken. Ein aus Praktikersicht wichtiger Aspekt. 

Den wichtigsten Punkt setzt der Autor hinsichtlich der Notwendigkeit einer einheitlichen Ausformung der tatbestandlichen Voraussetzungen, ferner der Haftungsausschlüsse (Stichwort: „außergewöhnlicher Umstand“) und vor allem der Deckungsgleichheit bei den Entschädigungsleistungen. Zu dieser mit Recht herausgestellten Kernaussage entwickelt er ein kombiniertes Modell. 

Eine einheitliche Entschädigung solle das zeitliche Ausmaß der Verspätung ebenso berücksichtigen wie die Höhe des Ticketpreises und auch das Zeitmoment von planmäßiger Dauer des Flugs bzw. der Fahrt. Die Kombination dieser Faktoren biete die Gewähr, dass die Beeinträchtigungen bei den Kunden adäquat berücksichtigt und Benachteiligungen der Beförderungsunternehmen untereinander vermieden werden. Als Ausgang für sein dazu entwickeltes Modell sieht der Autor die derzeitige Pauschalregelung im Schiffsverkehr. 

Die Kombination der Voraussetzungen würde dazu führen, dass nicht ein einzelnes Moment wie eine Verspätung, die nur wenige Minuten die Entschädigungsgrenze überschreitet, eine erhebliche Entschädigungsrelevanz auslöst, obwohl der fragliche Zeitfaktor für sich allein gesehen nur gering ist. Damit wirft er das Problem auf, wo die Schwellenwerte und Grenzen zu ziehen sind. Dazu schlägt er Staffelungen mit steigenden Werten vor, sowohl beim Zeitfaktor als auch bei der Minderungshöhe. Auf diese Weise sieht er eine bessere Gleichbehandlung auf Seiten der Reisenden wie auf Seiten der verschiedenen Verkehrsträger für gegeben an. 

Als eigene Schlussfolgerung hält der Verfasser mit seinem Modell die Transparenz ebenso gewahrt wie auch die Rechtseinheit und Rechtssicherheit im europäischen Binnenmarkt. 

Mit anderen Worten: Der Autor hat sich mit seiner heute ausgezeichneten Arbeit verdient gemacht, indem er alle vier Sekundärrechtsakte zu den Passagierrechten der EU einer vergleichenden Würdigung unterzieht und sie unter der Perspektive einer Gesamtschau analysiert. Als Ergebnis unterbreitet er praktische Vorschläge zu einer Rechtsvereinheitlichung der Entschädigungspraxis. 

Legislative wie Judikative sollten die nach dem Gleichheitsgrundsatz gebotene Vereinheitlichung der Entschädigungsleistungen nicht aus dem Auge verlieren. Die Ausführungen in dieser Dissertation vermitteln gute Vorschläge.

Deshalb ist die Arbeit lobenswert und deshalb verdient ihr Autor den Förderpreis 2016 der DGfR.